
Eine gute Freundin atmete schwer, schweißgebadet. Angstschweißgebadet, wie sie es ausdrückte. Bei ihrer Rad-Durchquerung von Bonn habe sie mehrere Nahtodereignisse durchlitten. Die gute Nadja, sie kann sich immer so schön aufregen!
Ein paar Tage später kam meine Frau von der Arbeit nach Hause. Auf der Strecke vom Hauptbahnhof bis Endenich sei sie mehrfach von rechtsabbiegenden Autofahrern ignoriert, von parkenden PKW auf den Radwegen genervt und dadurch zu gewagten Überholmanövern gezwungen worden. Eine Rücksichtslosigkeit, bei der übrigens selbst OB Ashok Sridharan in Endenich erwischt wurde.
Aber, hier soll es ja weniger ums Falschparken als um falsche Politik gehen. Falsch, denn nach wie vor gilt in Bonn: Vorfahrt für den motorisierten Individualverkehr. Es fehlt der politische Wille, wirklich voll aufs Rad umzusteigen, kritisiert nicht nur der Allgemeine Deutsche Fahrrad Club (ADFC).
Auf dass der Radler den PKW-Fahrer bloß nicht störe! Da holt sich Sridharan zur Not doch gerne Argumentationshilfe und Rückendeckung von der Industrie- und Handelskammer (IHK) und dem in althergebrachten Denkmustern verharrenden Einzelhandelsverband. Deren Verkehrsexperten fordern Verbesserungen für den Autoverkehr in der Innenstadt und prognostizieren andernfalls im Handel „Umsatzrückgänge ohne Ende“.
Kein Herz und Hirn, kein Mumm und Manpower. Hoch lebe das Klein Klein. So ist in der Bonner Verwaltung gerade mal höchstens eine Handvoll Planer bzw. Planerinnen mit der Entwicklung des Radverkehrs beschäftigt. Zum Vergleich: in Kopenhagen sind es 36. Der gute Wille in der Verwaltung ist durchaus vorhanden, doch was nutzt das, wenn Politik und Verwaltungsspitze (und das ist der OB) auf der Bremse stehen. Auch dagegen fahren heute wieder Demonstrant*innen auf der Straße, bei der “Kidical Mass”.
Im bundesweiten Fahrradklimatest des ADFC belegt die Bundesstadt unter den 39 Großstädten mit mehr als 200.000 Einwohnern mit der Note 4,2 nur Rang 26 – abgerutscht von Platz 18, was an sich ja auch schon kein Ruhmesblatt war.
Quittung für eine Politik, die keine – für die Autofahrer – unbequemen Entscheidungen fällt. In Bonn gilt: wer sein Fahrrad liebt, der schiebt: Seit 30 Jahren (!) etwa wird gefordert, dass es am Kaiserplatz eine Fahrradunterführung geben soll. Stattdessen: Absteigen, Rad eventuell mit Hänger durch Drängelgitter bugsieren, wieder Aufsteigen und: Achtung nach links auf die Busse, rechts (wieder) auf Autos achten.
Wer das Pech hat, über die Viktoriabrücke radeln zu müssen, war schon vor Baustellenzeiten glücklich, wenn er die Brücke heil überquert hatte. Geradezu absurd das Hin- und Hergeeiere auf der Kaiserstraße. Eine attraktive und für alle verständliche Verkehrsführung war vom zuständigen Fachausschuss bereits beschlossen, über Nacht auf Drängen von IHK und EHV aber von OB Sridharan wieder gekippt worden. Jetzt geht das Rätselraten “Wo darf oder muss ich radeln“ weiter. Die Fahrradzeichen auf der Spur stadtauswärts wurden weggeflämmt. Dennoch ist das die Spur für Radfahrer (und Busse). Und nur stadteinwärts darf man im Linksverkehr (!) auf dem erhöhten bahnparallelen Radweg fahren. Man darf aber auch stadteinwärts auf der Straße fahren. Das wissen aber nicht alle Rad- und die wenigsten Autofahrer. Ergo: In der Kaiserstraße fährt jeder so falsch, wie er es für richtig hält.
Es fehlen attraktive Radpendlerrouten aus dem Umland in die Stadt. Und wo war der energische Einsatz von Ashok Sridharan, als es darum ging, am Tausendfüßler einen Radschnellweg miteinzuplanen. Eingeknickt ist der Bonner vor NRW-Verkehrsminister Oliver Wüst und lässt sich mit dem Versprechen zur Unterstützung von Radvorrangrouten im Zick-Zack durch die Stadt abspeisen. Der Tausendfüßler wird jetzt zwar doppelt so breit geplant, aber ohne Radschnellweg.
Kein Wunder, dass die Stadt bescheiden geworden ist und etwa die Sandkaule als Protected Bike Lane als große verkehrspolitische Errungenschaft verkauft: 250 Meter Strecke, auf der der Radler dem Autoverkehr eben nicht vor die Motorhaube kommt. Auf dem vielbefahrenen Herman-Wandersleb-Ring hatten Politik und Verwaltungsspitze diesen Siegeswillen hingegen nicht.
Man könnte weinen. Oder zum Ende doch noch mal lachen! Kennen sie den? Bonn wollte bis 2020 zur „Fahrradhauptstadt“ werden. Die Öffnung von ein paar Einbahnstraßen für Radfahrer verkündete die Verwaltung in einer Zwischenbilanz.
Fazit: keine Luft im Reifen.
2 Kommentare
Wer zu früh aufgibt, … – Bonn wechselt! · 27. August 2020 um 7:33
[…] der in Sachen Radwegenetz eher kleinteilig, eher Zick-Zack denkt. Sie erinnern sich vielleicht: „Wer in Bonn Rad fährt, lebt gefährlich“ hieß unser Beitrag vom 16. August. „Und wo war der energische Einsatz von Ashok Sridharan, als es darum ging, am […]
Vorfahrt für Bus und Rad – Bonn wechselt! · 18. September 2020 um 7:36
[…] Der amtierende OB hat in den vergangenen fünf Jahren wenig bis gar nichts für den ÖPNV und den Radverkehr erreicht. Tatsächlich gilt in Bonn weiter: Vorfahrt für den motorisierten Individualverkehr. Es fehlt der politische Wille, wirklich voll auf Rad – oder ÖPNV – umzusteigen, kritisiert …. […]
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